Freitag, 14. Januar 2011

Literatur ist Kommunikation

Literatur ist Kommunikation, ist eine in formaler Hinsicht besondere Form von Kommunikation. Sie ist eine formalsprachlich geformte, überformte, verdichtete und also linguistisch beschreibbare Form der Kommunikation. Was aber ist die Funktion von Literatur im gesellschaftlichen Gefüge? Was ist ihre überindividuelle, ihre soziale Funktion im historischen Kontext?

Sie ist - um es bildlich, also fast schon literarisch zu sagen - Seismograph. Das heißt, sie ist ein Medium für eine vom Individuum ausgehende Aufzeichnung von Wahrnehmungen sozialer, kultureller, technologischer und letztlich auch medialer Veränderungen, also Erschütterungen, Konflikte, Widersprüche, Umbrüche, Katastrophen und Revolutionen jeder Art. Wird sie kanonisiert, so werden ihre Inhalte im kollektiven bzw. kulturellen Gedächtnis archiviert. Sie ist aber auch ein Medium für die zeitnahe Kommentierung eben solcher Vorgänge. Damit wird sie zu einem - ja zu dem - gesellschaftlichen Forum, in dem die Normen und Werte, die moralischen und ethischen Prinzipien einer Gemeinschaft ausgehandelt werden. Und sie kann ein Medium für Unterhaltung und Eskapismus sein; beides muss einander nicht bedingen, kann es gleichwohl. Letztlich kann sie Katalysator oben genannter Veränderungen sein. Man denke an religiöse, an reformatorische, an aufklärerische und letztlich an politische Kampfschriften, an Manifeste aller Art (vom kommunistischen über das futuristische bis zum konsumistischen).

Das also ist es, was die Literatur in der Gutenbergschen Buchform bisher geleistet hat bzw. was kanonische Autoren wie Büchner, Kleist, Heine, Kafka, Musil, Brecht, Bernhard oder Schätzing geleistet haben. (Diese Auswahl kann freilich nicht repräsentativ für die unermessliche Vielfalt der Literatur sein.)

Was aber verändert sich jetzt, da die Literatur den Buchkörper verlässt? Das Buch in seiner traditionellen Fasson hat die Inhalte und die Art und Weise seiner Rezeption diszipliniert. Denn das Buch ist linear und hierarchisch strukturiert, es enthält einen statischen Inhalt; es entsteht in einem stillen, privaten, singulären Prozess und wird ebenso still und privat rezipiert. Der (in der Regel eine) Autor führt seinen Leser quasi autoritär durch den Textverlauf - und also durch den Inhalt, durch seine Welt, die unsere ist.

Was aber sind die neuen Eigenschaften, ja Qualitäten von digitaler Literatur im Hinblick auf Form, Inhalt und Funktion? Und was sind die medienunabhängigen Charakteristika von Literatur im Hinblick auf Form, Inhalt und Funktion sowie im Blick auf Produktion und Rezeption im Internet-Zeitalter, die mit den Charakteristika analoger Literatur übereinstimmen?

Freitag, 7. Januar 2011

Wissenschaftskommunikation und Open Access

Historischer Rückblick auf die sich wandelnde Wissenschaftskultur
Medien sind nicht nur Orte, an denen Informationen und Wissen aufbewahrt werden oder die nur mehr als Kanäle des Wissenstransfers dienen, vielmehr sind sie Basis, auf dem der gesellschaftliche Wissensdiskurs stattfindet. Den Medien kommt damit ein wissenskulturelles Strukturierungspotential zu (Elsner 1994).

Das Medium determiniert, so Margreiter (2005), auf unverwechselbare Art und Weise, wie eine bestimmte Medialität unsere Wahrnehmung und deren Verarbeitung – nicht nur kognitive, sondern auch emotive und volitive – Verarbeitung in spezifische, unverwechselbare Bahnen lenkt.

Nicht zuletzt auf der Ebene des Individuums steuern Medien den Zugang des Einzelnen zur Welt. Indem sie bestimmte Sinneskanäle in besonderer Weise ansprechen, andere hingegen vernachlässigen oder gänzlich ausblenden, kommt es zu einer allein dem jeweiligen Medium und dessen dispositiver Struktur eigenen Fokussierung und damit einer Disziplinierung der Wahrnehmung (Pscheida 2010).

Gemeint ist hiermit der Fokus auf Schriftlichkeit, und genauer noch auf Buchkultur mit ihrem typographischen Code sowie ihre buchtechnischen Konventionen (Titelei, Paginierung, Kapitelstruktur, Fußnoten, Anmerkungen, Glossar, Literaturverzeichnis).

„Unsere mentalen Strategien und ein Teil unserer sozialen Verhaltensweisen sind durch Denkzwänge konditioniert, die informationsverarbeitende Medien unseren Gehirnen einpflanzen. Form, Inhalt und die Wiedergabe von Wissen werden gleichermaßen von Medien beeinflusst“ (de Kerckhove 2000).

Der Buchdruck hat also eine Ordnung des Wissens (Enzyklopädie als Ideal) hergestellt. Aber auch die Kommunikation dieses Wissen wurde in eine neue Ordnung gebracht: Akademien und Universitäten entstanden, später Schulen und Bibliotheken sowie entsprechende Buchformate und Standards. Das heißt, akademische Wissensstrukturen und Wissenschaft selbst wurden institutionalisiert – und damit diszipliniert.

Wesentlicher Bestandteil der neuen Wissenschaftskultur war neben dem wissenschaftlichen Ethos (Uneigennützigkeit, Objektivität, Wahrheit) das Streben nach wissenschaftlicher Reputation, die auf hierarchisiertes Expertenwissen, Karriere, sozialen Anschluss, Elitebewusstsein abhebt. Reputation ließ sich in erster Linie über individuelle Autorschaft bestätigen. Ab dem 17. Jahrhundert ist denn auch die Publikation, d.h. die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse, Kern des wissenschaftlichen Handelns.


Zäsur im 21. Jahrhundert – Die Wissens- bzw. Informationsgesellschaft und das Internet
Das Informationsverarbeitungssystem Buch ist der Komplexität unserer sozialen Systeme sowie unserer kognitiven wie emotionalen Verhaltensweisen und der sich daraus ableitenden Bedürfnisstrukturen nach Informationen, Wissen und Unterhaltung nicht mehr gewachsen. Gesucht wird heute, d.h. mit dem sukzessiven Abschied aus der Gutenberg-Galaxis, ein Medium simultanpräsenter Darstellung von Inhalten, Information und Wissen, also ein Medium, wie es der Hypertext verkörpere, so Bolz (1995).

Nach dem Prinzip der Knoten und Links sind hier, in der Welt der Hypertexte, alle Inhalte miteinander vernetzt und können frei, d.h. zeit- und ortsunabhängig abgerufen werden. Resultat dieser „freien“ Bewegung im Wissensraum auf der Basis hypertextueller Vernetzung ist nun das Hinzutreten aktiver Konstruktion (im Sinne von Navigation, Interaktion und Kollaboration) als neuer Komponente im Prozess der Rezeption.

Das Internet funktioniert, anders als alle bisherigen Massenmedien, nach dem Prinzip des „information-pull“, das heißt die Konsumenten/Rezipienten sind nicht länger darauf angewiesen, was ihnen Redaktionen, Verlage und Medienanstalten an Informationen zur Verfügung stellen ("information-push"), sondern sie besitzen in viel stärkerem Maße selbst direkten Zugang zu den verschiedenen Informationsquellen (auch wenn freilich selbst Google, Wikipedia und selbst Wikileaks nicht alle Informationen zur Verfügung stellen können oder wollen).

Im gleichen Maße steht es jedem Nutzer auch offen, selbst eigene Informationen über das Internet zu verbreiten. Zudem sind in digitaler/digitalisierter Form produzierte Inhalte bzw. Informationen über das Internet nicht nur leichter zu verbreiten und zu teilen, sie können auch schneller verändert, ausgebaut und neu kombiniert werden.

Mit Ausbreitung und gesamtgesellschaftlicher Nutzung des Internet hat sich eine kollaborativ und kooperativ organisierte, nicht-kommerzielle „Amateurkultur“ entwickelt, deren Akteure zum einen Inhalte quasi- oder semi-professionell verarbeiten bzw. zur Verfügung stellen, zum anderen aber auch das Entstehen einer Peer-to-peer-Kultur befördert haben.

Der Netzwerkcharakter des Internet hat es ermöglicht, dass eine funktionierende, zwar verteilte, aber dennoch koordinierte Gemeinschaft (bzw. vieler kleiner „Communities“) entstanden ist, die keine zentrale Autorität mehr benötigt. Die Effektivität sowie die Resultate ihres Handelns beruhen auf dem sich selbst regulierenden Zusammenspiel untereinander (zumeist professionell) verbundener und zugleich unabhängig agierender Individuen („kollektive Intelligenz“) (vgl. Leadbeater/Miller 2004).


Auflösung von Wissen und Wahrheit
Mit der Ablösung der Gutenberg-Galaxis durch ein neues digitales Paradigma verbindet sich auf erkenntnistheoretischer Ebene denn auch die Einsicht, dass das klassische Modell der autoritären bzw. institutionellen Produktion von Wissen weder der einzig mögliche noch der produktivste Weg ist. Diese Einsicht wird das Vertrauen in die Funktionalität hierarchischer Organisationsstrukturen fundamental erschüttern – wenn dies im Zuge des Postmoderne-Diskurses der zurückliegenden zwei Jahrzehnte nicht längst geschehen ist.

Unter dem Einfluss des Internet, d.h. unter dem Einfluss der kreativen Partizipation und Kollaboration der Nutzer des Web 2.0, werden Inhalte, Ideen und Wissen nicht länger im traditionellen, von der Vorstellungswelt der Industriegesellschaft geprägten Sinne „produziert“. Vielmehr werden unter den Bedingungen der digitalen Medien nun die Nutzer selbst – und nicht länger die Experten und Eliten – die Strukturierung und Zuordnung von Information und Wissen vornehmen. Die neue Struktur des Wissens ist folglich sowohl eine situative und dynamisch wandelbare, als auch eine sozial permanent neu ausgehandelte (siehe Wikipedia und alle anderen disziplinären Wikis).

Damit geht ein radikaler, wenn auch allmählicher Reputations- und Autoritätsverlust von Institutionen, von sogenannten Leitmedien, aber auch von individueller Autorschaft und traditionellen Publikationsformaten (insbesondere bei klassischen Zeitschriften und Buchformaten) einher, der sich in der postmodernen Absage an Metadiskurse im Sinne von Foucault vor drei Jahrzehnten bereits andeutete, nun aber – im „demokratischsten aller Medien“ – zur vollen Entfaltung kommt. Die Orientierung der Industrie, auch der verlegerischen und publizistischen Industrie, an sogenannten Nutzerbedarfen ist nur mehr ein verzweifeltes Rückzugsgefecht angesichts sich selbst organisierender und informierender Subjekte in einer auf das Individuum zurückgeworfenen postmodernen Informationsgesellschaft.

Die Alternative zum Wandel und Verfall der tradierten Wissenschaftskommunikation heißt Open Access. Im neuen Medium, dem Internet, entsteht seit knapp einem Jahrzehnt eine neue Form der Kommunikation wissenschaftlichen Wissens, die an die Seite - oder langfristig wohl sogar: an die Stelle - der Verlagskultur treten wird.

Die verschiedenen programmatischen Erklärungen zu Open Access finden sich selbstverständlich im digitalen Universum, so unter anderem in der Wikipedia.

In der Dropbox ist neben der Sekundärliteratur auch eine aktuelle Übersicht zu finden, die die Merkmale von Print- und OA-Veröffentlichungen, wie sie im Seminar erarbeitet worden sind, gegenüberstellt.

Montag, 3. Januar 2011

Digitales Leben an der Jahreswende 2011

Der Index Elektronisches Publizieren (EPIX) ist im dritten Quartal 2010 um 2,1 Prozentpunkte auf 113,5 Prozent gestiegen und hat damit den höchsten Wert seit dem ersten Halbjahr 2008 erreicht. Es wurde schlichtweg mehr verkauft: Hardware, Software und Content.

Auch der Elektronikgroßhändler Mediamarkt steigt in den Handel mit E-Books ein: Seit Dezember 2010 stehen rund 30.000 Buchtiteln zum Download bereit. Die Preise für ein E-Book beginnen bei 1,49 Euro.

Mit Google eBooks hat sich der Internetkonzern nicht nur endgültig als Händler etabliert, sondern setzt erstmals die Cloud-Technologie für den Vertrieb digitaler Bücher ein. Mit dem Cloud Computing werden Kauf, Verwaltung und Nutzung der Inhalte weiter virtualisiert: Es wird keine Datei mehr auf einen Rechner heruntergeladen (mit Ausnahme einer Sicherungskopie für Archivzwecke). Stattdessen werden die Daten, die auf Netzwerkrechnern von Google verteilt gespeichert werden, online in der „Wolke“ zum Buch zusammengesetzt und im Webbrowser mithilfe einer Reader-Software präsentiert. Das gekaufte E-Book wird im persönlichen E-Book-Regal abgelegt. Es kann auf jedem Bildschirm – unabhängig von einem bestimmten Endgerät – gelesen werden.

Amazon.de brach nach eigenen Angaben die bisherigen Verkaufsrekorde im Weihnachtsgeschäft mit einer Zuwachsrate von über 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Unter anderem der neue Kindle 3 habe sich besser verkauft als das jüngste Harry-Potter-Buch.

Das erste Libroid-Buch ist im iTunes-Store verfügbar. Der Autor sieht sich selbst als „komplett verrückten Verleger, der sich in Einzelhandanfertigung eine neuartige Druckmaschine bauen lässt, um darauf ein Buch zu drucken“. Sein Angebot soll auch andere Autoren dazu animieren, „ungedruckte Bücher herstellen und vertreiben zu lassen“. Für ihn steht fest: Erfolgreiche Autoren werden E-Book-Rechte nicht mehr an traditionelle Verlage vergeben, die viel zu „verhalten und hilflos“ agierten. Das Leseverhalten verändere sich und somit auch Schreibweisen. „Wir fangen gerade erst an“, sagt er.

...mehr zum Libroid


Donnerstag, 23. Dezember 2010

Vom Ende der Buchhandels-Ära

Das klassische Kommunikationsmodell spricht vom Sender (Autor), der Nachricht (dem Text bzw. dem Buch) und dem Empfänger (dem Leser). In der oralen Tradition ist dies ohne das Buch möglich: der Vortragende kommuniziert seine memorierte Nachricht (Epos) direkt an seine Zuhörerschaft. Mit der Einführung der Schrift verlagert sich die Nachricht in ein Medium: das Manuskript (Papyrusrolle, Codex, Buch), später in das Typoskript (das gedruckte Buch). Diese Nachricht gelangt an seinen Adressaten nun über eine Umweg: dem "Handschriftenhändler", später dem „Buchführer“. Erste Spuren eines geordneten Verkehrs mit Handschriften finden sich in Italien im 13. Jahrhundert; und der "Buchführer" (der im Auftrag des Verlegers das Land bereisende frühe Buchhändler) etabliert sich im späten 15. Jahrhundert. Mit der Einführung des Buchdrucks durch Gutenberg wächst die Produktion an Büchern, die nicht mehr über den Druckerverleger selbst verkauft werden können. Der Buchhandel als eigenes Gewerbe etabliert sich und wächst rasch an. Das literarische Kommunikationsmodell differenziert sich aus: Sender (Autor), Nachricht (Buch), Übermittler/Distributor (Buchhändler), Empfänger (Käufer/Leser).
Der moderne Buchhandel hat sich ausdifferenziert in folgende Bereiche:
  • herstellender Buchhandel ("Verlagsbuchhandel", das ist der Verlag selbst und eine ggf. unmittelbar an den Verlag angeschlossene Buchhandlung)
  • verbreitender Bucheinzelhandel („Sortimentsbuchhandel“, wie Thalia, Hugendubel, Dussmann und der kleine Buchhändler an der Ecke etc.)
  • verbreitender Buchgroßhandel („Zwischenbuchhandel“, auch "Barsortimente" genannt, wie Libri, KNO, Könemann etc.)
Zum verbreitenden Buchhandel zählen:
  • stationäre Buchhandlungen ("Sortimentsbuchhandlungen")
  • Antiquariate
  • Reise- und Versandbuchhandel
  • Internet-Buchhandel (amazon.com, libri.de, bol.de, buch.de etc.)
  • Bahnhofsbuchhandel, Buchabteilungen in Warenhäusern, Buchverkaufsstellen
  • Buchgemeinschaften (Bertelsmann Buchclub u.a.)
Doch mit der Durchsetzung des Internet hat nicht nur jeder Zwischenhändler ebenso wie fast jeder stationäre Buchhändler sein eigenes Verkaufsportal im Internet, auch die Verlage versuchen sich mit dem Direktvertrieb ihrer Bücher über eigene Portale im Netz. In den letzten zwei Jahren hat sich eine Vielzahl von digitalen Vertriebsplattformen etabliert, die - ähnlich wie in der Musikbranche iTunes - digitale Buchinhalte zum Download anbieten (Textunes, txtr, ciando u.a.). Letztlich aber erreichen auch die Autoren selbst - d.h. ohne die Vermittler- und Verteilerfunktion des Verlegers - mit ihren Produkten ihre Leser, und dies mittlerweile auch mit verkäuflichen Produkten).

Wird nun der Buchhändler, der vor fünfhundert Jahren als notwendiger Vermittler/Distributor entstand, auf diese Weise seine Existenzberechtigung verlieren? Und wenn erst Google mit seinem neuen Portal Google.ebooks an den Markt geht…

Lassen wir die Entwicklung des literarischen Kommunikationsmodells noch einmal in seiner historischen Entwicklung Revue passieren:
  • Vortragender -> Text -> Zuhörer   (orale Ära)
  • Aufschreiber -> Manuskript -> Leser   (Manuskript-Ära)
  • Autor -> Manuskript -> Verlag -> Buch -> Buchhandel -> Leser   (Gutenberg-Galaxis)
  • Autor -> Typoskript -> Verlag -> Buch -> Zwischenbuchhandel -> Einzelbuchhandel -> Leser  (19./20. Jhd.)
  • Autor -> (digitales) Typoskript -> Verlag -> (E-)Buch - Internetbuchhandel -> Leser  (digitales Zeitalter)
  • Autor -> (digitales) Typoskript -> Verlag -> (E-)Buch -> Leser  (digitales Zeitalter)
  • Autor -> digitaler Text -> Internet -> Leser   (digitales Zeitalter)

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Was ist sozial am Web 2.0?

Das Internet befindet sich in einem Prozess der Umgestaltung, in dem es weniger als reines Informations- bzw. Abrufmedium verstanden wird, d.h. in dem Inhalte ("Informationen") überwiegend von Massenmedien und professionellen Akteuren bereitgestellt werden (Organisationen, Institutionen, Autoritäten etc.), sondern in dem die Nutzer, die „digital natives“ (Prensky 2001), dazu übergehen, sich selbst aktiv zu beteiligen, indem sie eigene, selbstverfasste und -gestaltete Informationen (Texte, Bilder, Musik) in Foto- und Video-Sharing-Portale, in kollaborative belletristische oder (populär)wissenschaftliche Mitschreibeprojekte, in Kommentarfunktionen des Feuilletons oder in eigene Blogs einstellen. Damit bauen sie, die Nutzer selbst, das Netz immer weiter aus und lassen es zu einer collective intelligence wachsen.

Als Sammelbegriff für Internetanwendungen mit interaktiven, sozialen Komponenten bezeichnet der Begriff Web 2.0 – in Abgrenzung zum herkömmlichen Web 1.0 – die neue technologische Qualität sowie die neue gesellschaftliche Relevanz des Internets und seiner Nutzung. In diesem virtuellen Raum entstehen soziale Vernetzungen, die dazu geführt haben, auch von einem Social Web (auch Social Network) zu sprechen. Dieses Social Web konstituiert einen engeren Bereich des Web 2.0, in dem es nunmehr um die Etablierung neuer sozialer Strukturen und Interaktionsformen geht.

Der Begriff steht für neue Formen sozialen Handelns in folgenden Dimensionen:
  • beim Informationsaustausch (Publikation, Distribution und Zugriff auf Wissen) - siehe youtube
  • bei der Selbstdarstellung und Beziehungsmanagements (Aufbau und Pflege realweltlicher wie virtueller Kontakte und Identitäten) - siehe facebook
  • bei der interpersonalen computervermittelten Kommunikation - siehe twitter
  • bei der zielgerichteten Kooperation (Arbeitsteilung) und Kollaboration (Zusammenarbeit) (gemeinsame Erstellung von Wissensartefakten, Nutzung für Social Media Marketing) - siehe Wikipedia
Wissensproduktion und Kommunikation, Information und Transaktion finden in zunehmendem Maße im Internet statt; mehr als 70 Prozent der Deutschen sind heute online. Jeder ist User, ist zugleich Konsument wie Produzent. Man spricht von Produsage und vom Prosumenten. Man spricht vom kollaborativ wie kooperativ erstellten User Generated Content, der jenseits tradierter Institutionen, Medienlieferanten, Redaktionen oder Verlagen entsteht und frei zugänglich gemacht wird. Und bei der digitalen Literatur spricht man vom Wreader.

Nach der Popularisierung und „Vergesellschaftung“ der künstlerischen und verlegerischen Produktionsmittel (erst die Digitalkamera, dann der Digitalcomputer, der Drucker bzw. der Internet) kann heute jeder technisch versierte bzw. literate Mensch zum Urheber seines Kunstwerkes, zum Autor und gleichzeitig Verleger seines eigenen (belletristischen) Werkes werden.

Freitag, 10. Dezember 2010

Vom Tasten, den Tasten und dem Tastsinn

Der Lichtschalter war in Anlehnung an die Vorstellung von fließendem Wasser oder strömenden Gas entworfen worden. Nur eine Drehbewegung ließ den Strom fürs Licht fließen. Heute, mehr als einhundert Jahre später, gibt es diesen Schalter nicht mehr. Stattdessen bedarf es nur noch eines einzelnen Fingers (lat. digitus) für einen kurzen Druck auf die Taste - ganz so wie beim Mobiltelefon, beim Fotoapparat, bei der Fernbedienung des Fernsehers, beim mp3-Player, auf der Tastatur des Computers, dem Touchscreen des Fahrkartenautomaten oder des Slate-PC, auf der Schreibmaschine, auf dem Telegraphen oder bei der Morsetaste... Egal, wie weit man in der Geschichte zurückgeht, so scheint doch der Finger die entscheidene taktile Instanz von Kommunikation zu sein. Erst beim Manuskript (der "Handschrift") endet die(se) Mediengeschichte des Fingers.

Die Geste des Digitalen (lat. digitalis für "zum Finger gehörig") ist das Tastendrücken, die basale Kulturtechnik unserer Zeit (Heilmann 2010).

Das Wort digital evoziert aber auch noch eine viel ältere, nämlich antike Kulturtechnik: die des Zählens mittels Fingern (lat. numerare digitalis), die als einstellige Zahlen bzw. später, dann im typographischen Code Gutenbergs, als deren Ziffern ihre visuelle Repräsentation finden. Und aus der Übertragung der linearen, uniformen Ordnung des Buchdrucks auf die primitive, taktile Zahl entsteht später die moderne Mathematik, die wiederum Grundlage für die Rechenmaschine und den Computer (A. Turing und K. Zuse) sein wird.

Im elektronischen Zeitalter dient der Computer als das allein taktil gesteuerte Instrument der "extensions" sowie der universellen Übersetzung und Zusammenführung aller gegenwärtigen Codes.

"There is this difference, that previous technologies were partial and fragmentary, and the electric is total and inclusive... With the new media... it is possible to store and translate everything... Today computers hold out the promise of a means of instant translation of any code or any language into any code or any language" (McLuhan 1964).

In anderen Worten: Durch Sampling und Simulation analoger Medien(techniken) re-präsentiert der Computer die in ihnen abgebildeten Informationen (Text, Bild, Ton) als digital codierte Information.

Und dies auf bloßen Tastendruck - "enter"...

Montag, 6. Dezember 2010

Die Wiedergeburt des Autors im Netz


„Hypermedien brauchen keinen Autor, und Datenprocessing macht Genie schlicht überflüssig. An die Stelle der linearen Rationalität der Gutenberg-Galaxis tritt ein Denken in Konfigurationen. Und jedes Kind weiß heute, was nur noch die Intellektuellen der Gutenberg-Galaxis zu wissen hartnäckig sich weigern: daß sich nämlich die Videowelt, die unser Alltag ist, von der Newtonwelt verabschiedet hat. So zerbrechen die Horizonte der aufgeklärten Welt unter Medienbedingungen.“ So behauptete Norbert Bolz noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts und schrieb damit nurmehr das postmoderne Theorem Roland Barthes' fort vom "Tod des Autors" fort. Doch es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Stimmen, die die Wiedergeburt des Autors in der digitalen Welt konstatieren. Dieser Autor aber ist ein anderer als der traditionelle Autor, der im Sturm und Drang zur Welt kam.

Reinhold Grether beschreibt die gegenwärtige Konzeption von Autorschaft folgendermaßen: "Unser seit dem 18. Jahrhundert geformtes Verständnis von der Beziehung von Autor, Werk und Leser tritt in digitalen Umgebungen [...] zugunsten von Austausch, Kommunikation, Kooperation und sozialer Datenverarbeitung in den Hintergrund. Netzliteratur koordiniert Konzept-, Programmier-, Design- und Kommunikationskompetenzen zu Performanten digitaler Schriftlichkeit, die keiner Autorinstanz mehr zugerechnet werden können."

Interaktivität und Multimedialität, Hypertextstruktur, Nichtlinearität und Nichtabgeschlossenheit des Textes werden als die zentralen Charakteristika digitaler Literatur gehandelt.

Digitale Literatur wird in folgende vier Grundtypen unterschieden: 
  1. Nicht-multimediale Hypertextliteratur, die durchaus, wenn sie auf internetspezifische Verweise verzichtet als Printtext oder als CD-Rom vorliegen kann (Sachtexte in e-journals, Rezensionen, fiktionale Hypertexte). Sie bezieht ihren Mehrwert in digitaler Form vorliegend gegenüber der gedruckten Form, indem mittels Hyperlinks der Text „multilinear“ gelesen werden kann.
  2. Computergenerierte nicht-multimediale Hypertextliteratur, die nur „online“ publiziert wird, aber auch ausgestellt (Museum) werden kann.
  3. Kollaborative Schreib-/Leseprojekte ("Netzliteratur"), sowie Mischformen, die ausschließlich „online“ gelesen und mitgestaltet werden können. Diese Texte entstehen aufgrund der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten und benötigen aus produktionsästhetischer Sicht das Netz.
  4. Multimediale Literatur, die alles Vorangegangene beinhaltet. Der Text als sprachlicher Komplex kann hierbei eine Sequenz eines Bild, Ton, Video und Animation umfassenden Arrangements sein. Das Netz definiert bei diesem Klassifikationstyp, sowohl den Existenz- und Produktionsort, als auch die Vermittlungsinstanz.
Dabei sind diese Klassifizierungen nicht zwingend trennscharf, d.h. zum einen es gibt Überschneidungen und zum anderen können konkrete Texte nicht nur einem Typus zugeordnet werden.  Jetzt wäre es an der Zeit, für jeden Typus mindestens ein repräsentatives Beispiel zu nennen...